56. Jahrestag mit Festakt, Preisen und Ehrensenatoren
Mit einem Festakt, der Verleihung der Promotionspreise und der Vergabe von zwei Ehrensenatoren-Würden hat die Universität Ulm am Freitag, 7. Juli, ihren 56. Jahrestag gefeiert. Den Festvortrag hielt der Klima- und Polarforscher Professor Markus Rex.
Vom Hochsommer bis in den tiefsten arktischen Winter ging es am Freitag, 7. Juli, beim 56. Jahrestag der Universität Ulm. Uni-Präsident Professor Michael Weber begrüßte die Gäste und blickte zurück auf das vergangene Jahr, aber auch in die Zukunft. Als „großes Highlight“ bezeichnete er die Einrichtung eines Innovationscampus zu Quantentechnologien, genannt „QuantumBW“, dessen wissenschaftlichen Sprecher mit Prof. Joachim Ankerhold die Uni Ulm stellt. Weber berichtete von der Nachhaltigkeitsstrategie, die derzeit an der Universität erarbeitet wird und verwies auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2030. Als besondere Herausforderung bezeichnete er das vor allem in den MINT-Fächern nachlassende Interesse von Studienanfängern, das allein durch Demografie nicht zu erklären sei. Der Präsident gab sich dennoch zuversichtlich: „Steigende Schülerzahlen und das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz werden hoffentlich dazu führen, dass die MINT-Delle verschwindet.“ Auch der baldige Wegfall der Studiengebühren für ausländische Studierende in Baden-Württemberg sei ein Lichtblick, auf den die Universität wahrscheinlich mit mehr englischsprachigen Studienangeboten reagieren werde. Weiteres Thema war die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder, für die die Uni Ulm zwei neue Anträge eingereicht hat. Im Falle eines Erfolgs beider Skizzen hat der Präsident das nächste Ziel bereits fest im Blick: „Dann können wir uns auf einen Antrag als Exzellenzuniversität vorbereiten.“ Denn, davon ist Michael Weber überzeugt: „Wir an der Uni Ulm sind die Zukunftsmotoren dieser Gesellschaft. Mit unserer Spezialisierung, mit unserer Exzellenz und mit unserem persönlichen Umgang miteinander sind wir hervorragend aufgestellt, um diese Schritte in die Zukunft zu gehen.“
Verleihung der Promotionspreise
Auf dem Jahrestag werden traditionell auch die Promotionspreise der Ulmer Universitätsgesellschaft (UUG) verliehen. „Ein wesentlicher Teil des Auftrags der UUG ist die Förderung der Studentinnen und Studenten“, sagte deren Vorsitzender Manfred Oster, der die mit jeweils 1500 Euro dotierten Preise gemeinsam mit Präsident Weber übergab. Ausgezeichnet wurden acht herausragende Promovenden – zwei von ihnen in Abwesenheit – aus allen vier Fakultäten. Die jungen Forschenden befassten sich in ihren Arbeiten mit einer Vielfalt von Themen, etwa der Frage, wie Altersvorsorge attraktiver gestaltet werden kann oder damit, wie sich das Coronavirus SARS-Cov-2 so rasant ausbreiten konnte.
Vergabe der Forschungsinkubatoren
Mit sogenannten Forschungsinkubatoren will die Universität Ulm Freiräume für innovative, interdisziplinäre Projekte schaffen – quasi ein „Brutkasten“, wie Moderatorin Dana Hoffmann sagte. Womit sie richtig lag: „Brutkasten ist ein gutes Bild für das, was wir bezwecken: Wir wollen einen Raum schaffen, in dem Ideen brüten und sich entwickeln können, insbesondere in Teams aus unterschiedlichen Bereichen der Universität“, erläuterte Professor Joachim Ankerhold, Vizepräsident für Forschung, das Konzept. Die Inkubatoren sollen Entwicklungen vorantreiben, die mittel- und langfristig relevante Forschungsbereiche und Aktionsfelder etablieren. Dazu wurden nun erstmals zwei fach- und fakultätsübergreifende Projekte zu entzündlichen Erkrankungen und zum kollektiven Verhalten in heterogenen biologischen Systemen ausgewählt. Diese werden bis zu drei Jahre lang mit bis zu 100 000 Euro jährlich gefördert. Das Budget für die Forschungsinkubatoren, die künftig jedes Jahr ausgeschrieben werden, komme aus dem Uni-Haushalt, betonte Ankerhold: „Wir wollen Forschung anschieben, die noch vor der Drittmitteleinwerbung steht – davor braucht man erstmal Ideen.“
Vergabe der Ehrensenatorenwürde
In Anerkennung ihrer Verdienste um die Universität Ulm wurden Werner Braun und Thomas Vetter mit der Ehrensenatoren-Würde der Uni ausgezeichnet. Braun und Vetter gehören beide dem Vorstand der Dr. Barbara Mez-Starck-Stiftung an. Die Stiftung hat über viele Jahre hinweg die Universität und insbesondere den Ausbau des universitären Schwerpunktes „Energiewandlung und -speicherung“ unterstützt; nicht zuletzt bei der Modernisierung und Aktualisierung der Chemieinformationssysteme. Diese Datenbank zur Dokumentation von chemischen Strukturdaten genießt weltweites Renommee und ist heute ein unverzichtbares wissenschaftliches Werkzeug für die chemische Forschung. Ein Teil des Stiftungskapitals wurde in das im Herbst 2022 übergebene Barbara Mez-Starck-Haus investiert. „Mit strategischem Blick haben Werner Braun und Thomas Vetter als maßgebliche Kräfte zur Neuorientierung der Stiftung beigetragen“, so Präsident Weber in seiner Laudatio. „Sie haben sich massiv dafür eigesetzt, dass der Bezug zu Barbara Mez-Starck an dieser Universität weiterhin so stark bleibt und letztlich die Nachhaltigkeit der Verbindung zwischen der Stiftung und der Universität Ulm für die Zukunft gesichert.“
Festvortrag von Professor Markus Rex
Auf großes Interesse unter den Gästen stieß der Festvortrag des Polar- und Klimaforschers Professor Markus Rex von der Universität Potsdam. Rex nahm die Zuhörerinnen und Zuhörer mit auf eine Reise mit dem Forschungsschiff Polarstern, das ab September 2019 ein Jahr lang auf dem Meereis durch die Arktis driftete, konfrontiert mit andauernder Dunkelheit im arktischen Winter, Kälte, Stürmen und Eisbären. 100 Tonnen wissenschaftlicher Ausrüstung stellten die Forschenden aufs Eis. Ihre Mission: das Klimasystem der Polarregion erforschen und verstehen. Denn die Arktis, so Rex, sei „das Epizentrum des Klimawandels“, die auch stark das Wetter in unseren Breitengraden bestimme. Einst war die Arktis auch im Sommer komplett von Meereis bedeckt, berichtete der Leiter der Expedition. Der Klimaforscher scheute sich nicht, harte Wahrheiten auszusprechen: „Der Klimawandel wird dafür sorgen, dass diese Landschaft in einzelnen Sommern komplett eisfrei wird. Dann liegt hier ein Ozean. Das können wir nicht mehr abwenden.“ Die Arktis, das zeigen Daten, erwärmt sich im Jahresmittel etwa vier Mal schneller als im Rest der Welt und „schneller, als Klimamodelle das reproduzieren können.“ Im Winter ginge die Erwärmung sogar noch zügiger vonstatten. Das hat Einfluss auf das weltweite Wettersystem: Der Jetstream, der von den Temperaturunterschieden zwischen den Polen und dem Äquator angetrieben wird, wird schwächer und bricht manchmal ganz zusammen. „Diese Wellen im Jetstream sind die Ursache für Extremwetterereignisse in unseren Breiten“, erklärte Rex. Und zwar nicht nur für anhaltende Hitzewellen, sondern auch für winterliche Kaltphasen: „Der Klimawandel kommt fast immer als Erwärmung daher, aber nicht nur.“ Die Forschenden fanden heraus, dass die Temperaturen in der Arktis fast durchgehend um 10 Grad höher lagen als vor 130 Jahren, dass das Meereis nur noch halb so dick ist wie damals und dass es im Sommer weiträumig und massiv schmilzt. „Drei Viertel des arktischen Meereises sind schon weg.“ Zumindest eine gute Nachricht überbrachte Rex dann doch: „Das winterliche Gefrieren ist immer noch sehr gesund und robust. Wir gehen davon aus, dass es beim Meereis keinen Kipppunkt gibt.“ Das Schmelzen des Eises verhalte sich linear. Das heißt: „Wir haben es in der Hand, wir können das arktische Eis noch retten – die nächsten Generationen nicht mehr.“ Rex forderte die Gesellschaft dazu auf, klimaschädliche Emissionen noch schneller zu reduzieren: „Wir müssen bis 2030 nochmal 40 Prozent einsparen – und danach muss der Rest auch noch weg.“
Der Festakt wurde von Mitgliedern des Universitätsorchesters musikalisch begleitet und von Dana Hoffmann moderiert.
Die Promotionspreisträgerinnen und -preisträger der Ulmer Universitätsgesellschaft
Fakultät für Ingenieurwissenschaften, Informatik und Psychologie
Dr. rer. nat Michael Winter ist Informatiker und hat seinen Bachelor und Master an der Universität Ulm gemacht. Der 34-Jährige befasste sich in seiner Doktorarbeit am Institut für Datenbanken und Informationssysteme (DBIS) mit der menschlichen Kognition während des Verständnisses von Prozessmodellen. Seit August 2022 ist Michael Winter Postdoc am Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie der Universität Würzburg.
Dr.-Ing. Lena Marie Ränger (nicht persönlich anwesend) hat am Institut für Chemieingenieurwesen über die Optimierung von einfachen und multiplen Trennwandkolonnen und deren betriebliche Flexibilität. Ihren Bachelor in Bioverfahrenstechnik sowie den Master in Verfahrenstechnik machte sie zuvor an der Technischen Universität Hamburg. Ränger forscht derzeit als Postdoc an der Norwegian University of Science and Technology in Trondheim, finanziert durch das Walter Benjamin-Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Fakultät für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften
Dr. rer. nat. Andreas Pieper ist Mathematiker und hat seinen Bachelor in München und seinen Master in Bonn gemacht. Der 27-Jährige promovierte am Institut für Algebra und Zahlentheorie bei Professor Stefan Wewers mit der Ausnahmenote 1,0. In seiner Forschungsarbeit zu supersingulären Abelschen Varietäten geht es um die Ausarbeitung von Methoden, die unter anderem dabei helfen, mathematische Gleichungen für sichere Verschlüsselungsverfahren zu finden. Andreas Pieper forscht jetzt als Postdoc am Institut de Recherche Mathématique de Rennes in Frankreich.
Dr. rer. pol. Mark Benedikt Schultze ist ebenfalls Mathematiker. Schultze hat in Ulm studiert und promoviert. Der 1995 geborene Stuttgarter ist außerdem Absolvent des Double Degree Programms uulm2usa und hat einen Masterabschluss der University of Wisconsin-Milwaukee (USA) in Mathematik. Seine Dissertation am Institut für Versicherungswissenschaften befasst sich mit Altersvorsorgeprodukten und Rückversicherungen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie Altersvorsorge attraktiver und individueller gestaltet und somit der gewünschte Lebensstandard im Rentenalter erreicht werden kann. Seit November 2022 arbeitet er bei der Allianz als Aktuar.
Fakultät für Naturwissenschaften
Dr. rer. nat. Monika Barbara Witzenberger hat an der Universität Heidelberg ihren Bachelor und ihren Master in Molekularer Biotechnologie gemacht. In ihrer Doktorarbeit, die sie am Institut für Pharmazeutische Biotechnologie der Universität Ulm und dem Helmholtz-Zentrum München verfasst hat, beschäftigte sich Witzenberger mit der menschlichen tRNA-Methyltransferase TRMT2A, ihrer Funktion und ihren Eigenschaften als Wirkstoffziel gegen Polyglutamin-Erkrankungen wie der Huntington-Krankheit. Witzenberger forscht seit Februar 2022 als Postdoc am Weizmann Institute of Science in Israel.
Dr. rer. nat. Konstantin Fehler (nicht persönlich anwesend) gelang in seiner Doktorarbeit „Hybride Quantenphotonik für On-Chip Quanteninformationsverarbeitung“ die Kombination von klassischen photonischen Strukturen mit Silizium-Vakanzzentren (Farbzentren) in Nanodiamant. Die erhöhte Emission des Farbzentrums ermöglicht hohe Informationsbandbreiten in zukünftigen Quantensystemen. Der Physiker absolvierte sowohl Bachelor- als auch Masterstudium an der Uni Ulm. Promoviert hat er in der Arbeitsgruppe Hybride Quantensysteme. Fehler arbeitet seit Ende 2021 als Systemingenieur bei Hensoldt Sensors.
Medizinische Fakultät
Dr. biol. hum. Rayhane Nchioua ist Mikrobiologin und hat in ihrer Promotion am Institut für Virologie untersucht, warum sich das neue Coronavirus SARS-CoV-2 so rasant ausbreiten konnte. Sie entdeckte, dass das Virus einem Abwehrmechanismus des Körpers ausweicht und einen anderen sogar dazu nutzt, effektiv menschliche Zellen zu infizieren. Die 30-Jährige arbeitet derzeit als Postdoc am Ulmer Institut für Molekulare Virologie. Sie studierte im französischen Nîmes Mikrobiologie und schloss sich für ihre Doktorarbeit der Arbeitsgruppe von Professor Frank Kirchhoff an.
Dr. med. Marc Hasenfratz widmete sich in seiner Doktorarbeit am Institut für Pathologie dem Einfluss des Krebsmedikamentes „Denosumab“ auf Riesenzelltumoren des Knochens. Zuvor studierte er Humanmedizin an der Uni Ulm. Der 31-Jährige ist inzwischen als technischer Mitarbeiter bei der RumA Reinigungstechnik im Bereich Projektierung und Entwicklung angestellt.
Die Ehrensenatoren der Universität Ulm
In Anerkennung ihrer Verdienste um die Universität Ulm wurden Werner Braun und Thomas Vetter mit der Ehrensenatoren-Würde der Uni ausgezeichnet. Braun und Vetter gehören beide dem Vorstand der Dr. Barbara Mez-Starck-Stiftung an. Die Stiftung hat über viele Jahre hinweg die Universität und insbesondere den Ausbau des universitären Schwerpunktes „Energiewandlung und -speicherung“ unterstützt; nicht zuletzt bei der Modernisierung und Aktualisierung der Chemieinformationssysteme.
Werner Braun war viele Jahre als Geschäftsführer bei der Commerzbank, vormals Dresdner Bank, tätig. Der gelernte Bankkaufmann und Business School-Absolvent der IMD Lausanne war dort auch als Coach und Trainer mit IHK-Qualifikation in der Erwachsenenbildung aktiv. Seine langjährigen Erfahrungen als Manager und Coach im Finanz- und Bankenwesen nutzt er heute als Geschäftsführer zweier von ihm gegründeten Unternehmen.
Thomas Vetter hat ebenfalls über 30 Jahre Führungs- und Managementerfahrung im Finanz- und Bankwesen, insbesondere als langjähriger Geschäftsführer bei der Commerzbank. Der Volkswirt ist außerdem Unternehmensberater und Buchautor. 2016 erschien sein Buch über „Ermutigende Führung“. Vetter hat in Konstanz Volkswirtslehre studiert und bei der Bundeswehr eine Offiziers- und Einzelkämpferausbildung absolviert.
Die Themen und Teams der Forschungsinkubatoren
I. Kollektives Verhalten in heterogenen biologischen Systemen
Prof. Kay-Eberhard Gottschalk, Prof. Karin Scharffetter-Kochanek, Prof. Hans A. Kestler
Das Forschungsteam aus Physik, Dermatologie und Systembiologie interessiert sich für emergente Eigenschaften komplexer Zellsysteme, die aus kollektiven Entscheidungen von Zellen entstehen. Solche Zellentscheidungen sind aus der Embryonalentwicklung bekannt, spielen aber auch bei der Entstehung von Krebs eine Rolle. Weitgehend unerforscht ist, inwiefern die Heterogenität der Zellpopulation die Entscheidung beeinflusst. Im neuen Forschungsinkubator untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Übergang von Fibroblasten zu Myofibroblasten, wie er bei der Wundheilung erfolgt, aber fehlgeleitet auch bei einer Fibrose anzutreffen ist.
II. Metabolischer Schalter bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen
Prof. Iris-Tatjana Kolassa, Dr. Matthias Mack, Prof. Pamela Fischer-Posovszky, Prof. Jan Tuckermann, Prof. Heiko Graf, Dr. Visal Tumani, Prof. Hayrettin Tumani
Forschende der Psychologie, Medizin und Biologie wollen im Projekt MitoSwitch der Rolle von Mitochondrien bei chronisch niederschwelligen entzündlichen Erkrankungen untersuchen. Diese Entzündungen gehen häufig mit Fatigue, Erschöpfung und Antriebslosigkeit einher und treten bei Erkrankungen wie beispielsweise Multipler Sklerose und Post-COVID, aber auch bei Depression und Schizophrenie auf. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten hinter den niedrigschwelligen entzündlichen Erkrankungen eine fehlregulierte Energieumwandlung in den Mitochondrien durch einen erhöhten Energiebedarf und/oder im Verhältnis dazu eine mangelhafte Nährstoffversorgung.